An
dieser Stelle haben Erkrankte Gelegenheit ihre Erfahrungsberichte mit der
bipolaren Störung anonym zu veröffentlichen, um anderen Betroffenen Hoffnung
zu machen.
Mit
freundlicher Erlaubnis von Frau Susanne Storck stellen wir den vor der
Gründung der Selbsthilfegruppe in der NRZ veröffentlichten Artikel ins
Internet:
„Donnerstag, 28. August 2003
.
Wie
geht´s? "Ich denke nur an Selbstmord!" Manisch-depressive Erkrankungen
Verschiedene Ursachen
SELBSTHILFE / Ein betroffener Mann will Essens erste Gruppe für
manisch-depressiv Erkrankte gründen. Diese Menschen leiden vor allem unter
extremen Stimmungs-Schwankungen.
"Wie
geht es Ihnen, Herr Kaspers?" Die ehrliche Antwort hätte gelautet:
"Furchtbar, ich denke ständig nur an Selbstmord." Aber wer reagiert schon so
auf die harmlose Frage nach dem Befinden? Auch Franz-Josef Kaspers* nicht.
Der Mann von Anfang 50 war in der Vergangenheit mehrfach in Suizidgefahr.
Das
Selbsttötungsrisiko ist bei Menschen mit bipolaren Störungen, von denen
Kaspers betroffen ist, um das 30-Fache höher als in der Normalbevölkerung,
weiß die Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS). Die psychisch
Kranken leiden unter völlig übersteigerten Stimmungsschwankungen, stürzen
aus euphorischen Lebensphasen in tiefste Depressionen ab (siehe
Info-Kasten).
Lithium stabilisiert die Stimmungen
.
Franz-Josef Kaspers kann heute sehr bewusst und offen zurückblicken. Seit
sieben Jahren hat er seine Krankheit rückfallfrei im Griff. Dank der
Einstellung auf ein Lithium-Medikament, das die Stimmungslage stabilisiert.
In den Jahren davor fuhren seine Gefühle mit Vollgas Achterbahn - ohne
Unterbrechung.
Vermutlich begann die Leidensgeschichte bereits in der Schulzeit, "mit
Stimmungsschwankungen und depressiver Grundtendenz", erinnert sich
Franz-Josef Kaspers. Aber weder er noch sein Umfeld wussten etwas über
manisch-depressive Erkrankungen.
Freude nach dem Tod der Mutter
.
Völlig
unerklärlich war ihm auch seine Reaktion auf den Tod seiner Mutter. Statt
Trauer "kam Freude auf, eine völlig unangemessene Reaktion", die er vor
seinen Mitmenschen verheimlichte. Dieses Verhalten ist Hinweis auf eine
damals manische Phase, die nicht steuerbare Hochstimmung war völlig
losgelöst vom traurigen Ereignis.
Bedingt
durch Schwierigkeiten am Arbeitsplatz brach die Krankheit Anfang der 90er
Jahre offen aus. Und zwar so: Etwa fünf Monate dauerten die manischen
Phasen, "in denen ich witzig und euphorisch war", sagt Kaspers. Er war dann
aufgedreht, distanzlos anderen Menschen gegenüber und "redete wie ein
Wasserfall. Die Gedanken rasen, man geht anderen auf den Wecker, will sie
bekehren". Kaspers gab außerdem zuviel Geld aus, "ich kaufte wahllos alles
ein, was mir ins Auge fiel". In einer komplizierten privaten Situation "habe
ich nachts in der Wohnung gestanden und Nägel in die Wand gehauen. Ich
konnte nicht schlafen, war so aufgedreht, dass ich so tat, als sei der Tag
nicht zu Ende", schildert Franz-Josef Kaspers seinen früheren
Ausnahme-Zustand.
Und
dann der tiefe Fall: Dem Bäume- Ausreißen- Wollen folgten bis zu acht Monate
dauernde depressive Phasen. Sie waren geprägt von Ängsten,
Selbstmord-Gedanken und einer "tiefen Traurigkeit, gegen die ich nicht
ankam". Kaspers "starrem, maskenhaften Gesicht" war kein Lächeln abzuringen.
In
den Mühlen der Psychiatrie
-
In all
den Jahren, in denen er auch in die Mühlen der Psychiatrie geriet und
teilweise falsch behandelt wurde, erkannte nur ein Arzt die wirkliche
Ursache seiner Krankheit. Aber Kaspers, damals in euphorischer Phase, hörte
nicht auf ihn. Mitte der 90er Jahre, beim wiederholten
Krankenhaus-Aufenthalt, kam die richtige Diagnose, "der ich mich stellte".
Heute
lebt Franz-Josef Kaspers eher zurückgezogen, "ich bekomme meinen Alltag
geregelt". Er will eine Selbsthilfegruppe für manisch-depressive Männer und
Frauen gründen. Es könnten auch unter Depressionen leidende Menschen kommen,
die sich noch nicht sicher sind, ob es sich um eine bipolare Störung
handelt. Aber die Gruppe ist "nicht für Leute mit leichten Befindlichkeiten"
gedacht. Kaspers will andere Betroffene kennenlernen. "Ich will aus der
Einzelkämpfer-Position herauskommen."
*
Bipolare Störungen, wie manisch-depressive Erkrankungen genannt werden,
bewegen sich "zwischen himmelhoch jauchzend (manisch) und zu Tode betrübt
(depressiv)", formuliert es die Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen
im Internet (www.dgbs.de).
Es handle sich um "eine Gruppe krankhafter Stimmungsschwankungen bzw.
-veränderungen" mit verschiedenen und individuellen Ausprägungen. Zum
breiten Ursachenspektrum zählen genetische Störungen und die Fehlfunktion
von Nervenbotenstoffen.
Das
erste Treffen der Essener Selbsthilfegruppe ist am Donnerstag, 18.
September, 18 Uhr, in der Beratungsstelle "Wiese", Pferdemarkt 5. Hier
gibt´s auch Ansprechpartner: Tel: 20 76 76.
27.08.2003 SUSANNE STORCK
Datum: Thu, 27 Nov 2003 13:08:24
EST Von:
Kowal777@aol.com
Hallo, ich verfolge die
Beiträge im BPE-Forum nun schon einige Zeit als stiller Beobachter und
möchte mich nun einmal vorstellen.
Ich heiße Peter Kowalski, bin 1965 in
Bamberg geboren und wohne derzeit in Fürth, der "kleinen Schwester" von
Nürnberg. 1987 bin ich nach Aufnahme eines VWL- Studiums in Regensburg
an einer Manie erkrankt, habe ein paar verrückte Sachen gemacht und kam
in die Psychiatrie, damals Nervenklinik St. Getreu, Bamberg. Schon
damals im Alter von 22 Jahren habe ich erfahren müssen, was es heißt,
"geschlossen" untergebracht zu sein, Fixierung, Spritzen und vor allem
Unmengen an Medikamenten erdulden zu müssen. Nach meinem ersten
Klinikaufenthalt habe ich dann meine Zelte in Regensburg abgebrochen,
bin wieder ins Elternhaus bei Bamberg gezogen und habe an der dortigen
Uni ein Lehramtsstudium begonnen.
Dieses konnte ich relativ erfolgreich bis 1993 fortführen, wenn ich auch
wegen erneuter manischer und depressiver Phasen wenigstens einmal pro
Jahr stationär aufgenommen werden musste. 1993 schließlich musste ich
auch dieses Studium kurz vor der Prüfung abbrechen, weil ich
krankheitsbedingt und vor allem auch als Folge der
Medikamentennebenwirkungen jegliche Konzentrationsfähigkeit und auch
Motivation verloren hatte.
In der Folgezeit habe ich dann noch versucht, als 28-Jähriger durch
umfangreiche Bewerbungen eine ganz normale Lehrstelle zu bekommen, wobei
ich anfangs auch Erfolg hatte, später dann allerdings wieder an
mangelnder Konzentration und fehlendem Durchhaltevermögen scheiterte.
Ich ging dann schließlich den Weg der medizinischen und beruflichen
Rehabilitation in speziell dafür vorgesehenen Einrichtungen für
psychisch Kranke.
Diese Reha- Versuche führten jedoch in Hinblick auf ihre Zielvorgaben
ins Nichts. Das Ergebnis dreijähriger Anstrengungen war schließlich,
dass man sich geeinigt hatte, dass ich beruflich einfach nicht belastbar
sei und wenigstens versuchen solle, ein selbstständiges Leben zu führen.
Man war mir also 1998 bei der Besorgung einer Wohnung in Erlangen
behilflich und ich wurde mit monatlicher Sozialhilfe und einem
1-Zimmer-Mietapartment in die Selbständigkeit entlassen. Gleichzeitig
bekam ich eine Betreuerin, die sich auch heute noch um verschiedene
Aufgabenkreise meines Lebens kümmert. Ihre Tätigkeit empfinde ich nach
wie vor als für mich sehr entlastend. Sie nimmt mir einiges ab und war
bisher immer ein zuverlässiger Ansprechpartner, wenn einmal Not am Mann
war.
Die damit verbundene fehlende Selbstständigkeit gibt mir freilich immer
wieder zu denken und so schließe ich nicht aus, auch einmal wieder aus
der Betreuung herauszugehen, wenn es mir möglich scheinen sollte. Die
Vermögenssorge habe ich bereits selbst übernommen. Im Jahr 2002 bin ich
dann von Erlangen in eine größere Wohnung nach Fürth bei Nürnberg
umgezogen. Inzwischen konnte ich mich auch von der Sozialhilfe
verabschieden, weil mir nach intensivem Engagement meiner Betreuerin
eine Erwerbsunfähigkeitsrente von der BfA Berlin bewilligt wurde. Dafür
waren entsprechende ärztliche Gutachten notwendig.
So lebe ich nun seit letztem Jahr als inzwischen 38-jähriger Rentner in
meiner 2-Zimmer-Wohnung in Fürth. Mein Gesundheitszustand ist durchweg
noch immer von fehlender Belastbarkeit und mangelndem Durchhaltevermögen
gekennzeichnet.
Manchmal fallen mir die einfachsten Handgriffe im Haushalt schwer, vor
allem während depressiver Phasen. Manische Stadien habe ich seit 1997
nicht mehr und bin sehr froh, dass ich dieses Kapitel meines Lebens erst
einmal schließen konnte. Was die Zukunft bringt, weiß ich nicht. Als
Mensch fühle ich mich der Musik sehr verbunden und spiele fast täglich
auf meinem eigenen Digitalpiano. Das Klavierspiel habe ich schon während
meiner Schulzeit gelernt. Mit sozialen und menschlichen Kontakten hapert
es ziemlich, weil ich bedingt durch meine Krankheit und meine
Lebensgeschichte der letzten Jahre ziemlich an Selbstbewusst-sein
eingebüßt habe und mir schwer tue, auf neue Menschen zuzugehen, denen
man sich grundsätzlich immer erst erklären muss, warum man nun schon in
so jungen Jahren Rentner ist usw.. Insgesamt haben mich vor allem die
stationären Aufenthalte der Jahre 1987-1997 sehr geprägt. Immer wieder
extreme Ruhigstellung durch höchste Dosen an Psychopharmaka. Nicht nur
die Medikamente selbst haben dadurch im Laufe der Zeit ihre Spuren an
mir hinterlassen, sondern auch die Tatsache, dass man dieses monatelange
Herumsitzen und Herumhängen in abgeschlossenen Räumen sich regelrecht
antrainiert hat und schließlich sich dieses Verhalten nach Entlassung
aus der Klinik im heimischen Umfeld fortgesetzt hat, weil es in Fleisch
und Blut übergegangen ist. Obwohl ich nun schon seit etwa drei Jahren
keinen stationären Aufenthalt mehr hatte und sich insgesamt alles ein
wenig gebessert hat, habe ich noch immer mit den Folgen der hohen
Medikamentendosierungen der stationären Aufenthalte zu kämpfen. Ich
hoffe, dass ich nicht für den Rest meines Lebens damit zu tun habe. Aus
heutiger Sicht sind für mich die Medikamentengaben, mit denen ich zu tun
hatte, krasse Überdosierungen, die mehr Schaden als Nutzen angerichtet
haben. Anstatt zu versuchen, eine vernünftige Balance zwischen
Zustand/Persönlichkeit des Patienten und der Dosis des jeweiligen
Medikaments zu finden, wurde zu meiner Zeit durchweg die
Dampfhammermethode angewandt. Ich weiß nicht, ob sich da heute viel
geändert hat. Ich für meinen Teil hoffe jedenfalls, so schnell nicht
wieder in die Fänge einer geschlossenen Psychiatrie zu geraten. Die vom
Alter her beste Zeit meines Lebens, in der ich studiert habe und etwas
erreichen und aufbauen wollte, ist vorüber - und ich bin nun ohne Beruf
und wegen Erwerbsunfähigkeit berentet. Weiterhin befinde ich mich in
ständiger ambulanter Behandlung bei einem niedergelassenen Nervenarzt
und habe vor einem knappen Jahr auch mit einer Psychotherapie begonnen,
um die Vergangenheit und vor allem die negativen Erlebnisse in der
Psychiatrie mit all ihren Folgen aufzuarbeiten.
Dies ist die Situation, in der ich mich derzeit befinde und mir bleibt
nichts anderes, als diesen schicksalhaften Weg nun weiterzugehen.
Ich habe bereits oben beschrieben, dass ich dieses Forum schon seit
einiger Zeit als stiller Beobachter verfolge. Nach diesem "Einstand"
werde ich mich zukünftig vielleicht auch zum ein oder anderen Thema zu
Wort melden.
Auseinandersetzungen über rein theoretische Angelegenheiten
interessieren mich nicht so sehr. Geht es dagegen mehr um praktische
Anliegen zum Thema Psychiatrie, leiste ich gern meinen Beitrag. Ich habe
wie viele der Betroffenen einige äußerst schmerzliche Erfahrungen (z.B.
Krämpfe aufgrund zu hoher Medikamentendosen) machen müssen. Das hat mich
als Mensch verändert und geprägt.
So, dann erst einmal vielen Dank an alle, die sich die Zeit genommen
haben, meine Zeilen zu lesen. Peter Lehmann habe ich übrigens vor vielen
Jahren das erste Mal als Vertreter der Antipsychiatrie in einer
"Sprechstunde" des Bayerischen Rundfunks wahrgenommen und war von seinen
Argumenten sehr angetan. Vor einiger Zeit habe ich auch einmal ein paar
Bücher aus seinem Verlag bestellt, um in der Materie ein umfangreicheres
Wissen zu bekommen.
Es freut mich, dass von ihm auch hier im Forum ab und zu etwas zu lesen
ist.
Somit einstweilen tschüs, viele Grüße und alles Gute an alle
Peter Kowalski aus Fürth/Bayern"
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