DGBS Jahrestagung/ Hamburg 2004

   
 

Bericht über die Jahrestagung der DGBS in Hamburg

Zu Beginn der Tagung Ernennung von Prof. Dr. Jules Angst, Zürich (CH) zum Ehrenmitglied der DGBS

Laudatio: Prof. Dr. Andreas Marneros

Danach der Vortrag des 78-jährigen Prof. Dr. Jules Angst mit dem Thema:

Bipolare Störungen als lebenslanges Schicksal,

der von allen Zuhörern am Ende mit lang anhaltendem Beifall quittiert wurde.

Prof. Angst ist Epidemiologe und beschäftigt sich seit über 50 Jahren mit dem Vorkommen

der bipolaren Störungen in der Bevölkerung, ihren Determinanten, der Krankheitsentstehung,

dem Verlauf und Veränderungen, insbesondere der Sterblichkeit, speziell dem Suizid.

Weltweit hat er die einzige Langzeitstudie durchführt. Neuere Veröffentlichungen von ihm werden von anderen Wissenschaftlern immer wieder mit Spannung und Interesse erwartet.

Auch in der Forschungsabteilung in Zürich, die Prof. Angst leitet, sprach man wie in der Wissenschaft Ende der 50-iger Jahre noch von manisch-depressivem Irresein und Involutionsmelancholie.

Heute teilt man die bipolaren Störungen ein in:

DD = major depression – Störung

Dm = bipolar II – Störung

MD = Bipolar I – Störung mit MDE (manisch-depressiver Erkrankung)

Md/M = Bipolare Störung I mit milder/keiner Depression 

(186)

(60)

(130)

(30)

 

Seit 1959 wurde eine prospektive Studie der Klinikaufnahmen durchgeführt (n = 406), die Mortalität (Sterblichkeit) und die Suizidalität 1991, 1997 und 2003 untersucht, ebenso das Auftreten von Demenz und der Alzheimer-Erkrankung.

 

Die bipolaren Störungen verlaufen in Zyklen. Seit der ersten Krankheitsphase verkürzen sich

die Abstände im Median (Zentralwert als Mittelwert), die freien Intervalle werden kürzer.

Bipolar I und II – Patienten haben die größte Wahrscheinlichkeit, wieder zu erkranken.

-

Median

DD

Dm

MD

Md

 

46

37

26

28

Alter

70,7

72,5

66

59

Anzahl Phasen

4

10,5

11

7

% Lebenszeit krank

21

19

20

 

-

 

 

 

 

Diagnosenwechsel von unipolarer Depression zu bipolarer Störung: 1,25% pro Jahr.

Verlauf: Manien sind kürzer als Depressionen.

 

Ausgang:

DD

Dm

MD

Md

Geheilt

26

18

13

23

Periodisch

49

60

61

67

Chronisch

12

15

16

07

-

 

 

 

 

(Vorstehende Daten sind unveröffentlicht.)

Suizid Risiko:

DD

Dm

MD

Md

 

26,4

10,6

13,6

4,7

-

 

Das sind die Faktoren einer höheren Suizidalität im Vergleich zu Normalbevölkerung.

Im Ergebnis ist bei bipolaren Störungen das Risiko eines Suizides 10 – 15-mal so hoch

wie bei der Normalbevölkerung.

Wann treten die Suizide auf?

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus im Zustand der Besserung, vor allem aber in den ersten Jahren nach dem ersten Auftreten der Erkrankung. Bei der Behandlung ist immer nach der Vorliegen einer Suizidalität zu forschen. Langzeitmedikation schützt vor Suizid, ohne Behandlung liegt das Suizidrisiko 5-mal höher. Die Lithium-Behandlung vermindert den Suizid auch bei Depressionen, bei Gabe von Leponex (Clozapin) Hälfte der Dosis. Unbehandelte Erkrankte haben die kürzeste Lebensdauer.

 

Die Lebenserwartung bipolar Erkrankter ist wegen Krankheiten und Suiziden um ca. 10 Jahre verkürzt. Verhindert die Behandlung mit Lithium Demenz im Alter?

 

Wahrscheinlich ja, durch die Gabe von Lithium und Clozapin ist das Risiko schwerer Demenz halb so hoch wie bei Unbehandelten.

   

Schlussfolgerungen:

unterschiedliche Formen; periodischer Verlauf

Dauermedikation; Kombination ist besser Monotherapie

 

 

Dauermedikation kann:

Rückfälle stark vermindern,

Suizidalität stark vermindern,

Mortalität stark reduzieren,

Die Entwicklung einer Demenz reduzieren (?).

 

 

Zum Auftreten psychischer Problem in der Bevölkerung allgemein:

40 – 50 % bekommen im Laufe ihres Lebens eine psychiatrische Diagnose,

30 % haben leichtere Formen der Symptome, 20 % sind gesund oder unauffällig.

Es ist ein Kontinuum zwischen gesund und krank.

Es ist eine Stigmatisierung, Betroffene als krank abzustempeln.

Jeder Gesunde kennt auch die Hypomanie in der Zeit des Verliebens oder in der Sturm- und- Drang-Zeit. Prof. Angst ist führend in der Welt bei Langzeitstudien über bipolare Erkrankungen und mit 78 Jahren geistig fit wie ein Turnschuh. Das Auditorium dankte für den Vortrag mit lang anhaltendem Beifall.

Spannungsfelder von Erfahrenen, Angehörigen und Professionellen

PD Dr. Thomas Bock Freitag. 10.09.2004, 11:30 Uhr

Aufbau der psychiatrischen Ambulanz am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf,

Gründung des Trialogs (Psychoseminare) im Hamburg zusammen mit Dorothea Buck und

 anderen.

 

Spannungsfelder:

 

 

 

1. Höhen

und

Tiefen

(Bipolare)

2. Nähe

und

Distanz

(Angehörige)

3. Macht

und

Ohnmacht

(Professionelle)

 

 

 

 

1. Höhen und Tiefen:

Starke Normen, fehlen eigener Maßstäbe

Störungen des Selbstwertgefühls

Sinnsuche über die eigene Person hinaus

Störung der Zeitwahrnehmung

In der Ambulanz wird das Gruppensetting mit Peer to Peer-Verfahren angewandt. Dies bedeutet das Erleben anderer Phasen z. B. durch depressive und hypomanische Patienten. Durch Auseinandersetzung mit anderen hat man auch andere Phasen im Blick (Spiegeleffekt)

2. Nähe und Distanz:

Mitbetroffene; Erkrankung später?

Immer aneinander vorbei (Paternoster-Aufzug)

Wie viel Nähe ist aushaltbar?

Wie viel Abstand notwendig?

 

Bei bipolaren Störungen sind Angehörige emotional in einem hohen Maß beteiligt!

Kinder psychisch kranker Eltern

Hier ist erwähnenswerte die Initiative von Katja Beeck, Berlin: Netz und Boden

www.netz-und-boden.de

3. Macht und Ohnmacht:

Eigene Anteile

Ohnmacht annehmen (mit Beispielen aus der Praxis)

Macht persönlich zeigen statt anonym

Eigene Balance von Nähe und Distanz

Therapie mit Bipolaren darf (methodisch) nicht unipolar sein. Die Angehörigen sind unbedingt einzubeziehen.

Nicht das Ende der Depression ist das wichtigste Ziel; es kommt ohnehin, weil niemand auf Dauer depressiv sein kann. Wichtig ist, den Weg durch die Depression zu begleiten und die Zeit der Depression zu nutzen, um so viel über sich zu erfahren, dass neue Depressionen unnötig werden. Auch das Ende einer Manie ist nicht das unbedingte Ziel. Es kommt ohnehin, weil niemand auf Dauer manisch sei kann. Bei guter Begleitung und Nachsorge ist in sechs Wochen Manie mehr zu erfahren als in einem halben Jahr Psychotherapie. Nicht ob jemand nach der Depression auftaucht oder nach der Manie landet, ist die Frage, sondern wie er es tut.

 

4. Therapeutische Konsequenzen:

Weitere Selbstwert-Kränkungen vermeiden

Ehrlicher Umgang mit macht und Ohnmacht

Notwendige Psychotherapie

Vorteile des Gruppensettings

Strukturübergreifende Kontinuität

Therapie – ohne Angehörige – ein Kunstfehler!

Medikation und (Psycho-)Edukation alleine reichen nicht!

 

Dr. Schärer berichtete im Forum: „Zwischen Höhen und Tiefen:

Was geht in der Selbsthilfe, was nicht?“ Freitag, 11.09. 13:30 Uhr,

 

über die Palm LifeChart Methode, die von der DGBS gefördert und von ihm als Assistenzarzt an der Uni Freiburg betreut wird. Mit einem Palm-Organizer bzw. einem PC mit Internet- Anschluss kann eine Palm Oberfläche simuliert werden, mit dem man mit einem täglichen Aufwand von ca. 2 Minuten seine Medikation, Stimmung, Ereignisse etc. elektronisch aufzeichnen kann. Die neue LifeChart-Version kann jetzt bei Übermittlung der Daten monatliche und eine 2 Jahres Auswertung liefern. Neu sind die möglichen Analysen und ein automatisierter Installationsablauf. Unter www.lifechart.de kann man sich einloggen und ein Passwort erfragen, um die elektronische Methode der Stimmungsaufzeichnungen für sich zu nutzen. Die Methode stellt keinesfalls einen Ersatz für einen Arzt-Besuch dar.

Was ist LifeChart? Keine Psychotherapie

Die Nutzer wurden befragt, was das LifeChart-Programm für sie bedeutet.

Ihre Antworten:

Nützlich

Frühwarnsystem

Besseres Krankheitsverständnis

Mehr Stabilität

Bessere Therapiebeurteilung

Medikamente – Compliance

Aktive Mitarbeit im therapeutischen Prozess

Effekte: Mit der Nutzung des Programms gelingt es besser, mit der Erkrankung umzugehen.

Man kann LifeChart als eine Methode des Selbstmanagements bezeichnen.

 

Was Patienten nicht können:

Akute manische Symptome erkennen

Medikamente einstellen

Training  zur Verbesserung von Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Problemlösefähigkeit:

www.x-Cog.de. weitere Stichworte: Coping-Strategien - Hypomanie Detection - YMRS versus LCM

 

Mitgliederversammlung der DGBS am Freitag, den 10.09.2004, 18 Uhr  – 20 Uhr

 

Aus dem Bericht des Vorstandes (eigene Mitschrift, ohne Gewähr auf Richtigkeit und Vollständigkeit). Die Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen hat 12 Förder-Mitglieder und 567 ordentliche Mitglieder, davon 198 Professionelle, 191 Betroffene, 46 Angehörige, 27 Interessierte und 105 Mitglieder, die keine Angabe zu ihrem Status gemacht haben. Die Gesellschaft hat seit ihrer Gründung im Jahre 1999 eine sehr positive Entwicklung bei

den Mitgliederzahlen, aber auch den Teilnehmerzahlen bei den Jahresversammlungen genommen.

In Hamburg sind es schon über 600 Teilnehmer gewesen. Im September 2005 in Bonn wird

im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW mit einer weiteren Steigerung gerechnet.

Das Thema der von Dr. Lemke organisierten Tagung wird voraussichtlich lauten:

Bipolare Erkrankung und Familie. Die Gesellschaft wird demnächst ein eigenes Mitteilungsorgan in vierteljährlichem Rhythmus herausgeben. Der Redaktion gehört der Sprecher unserer Gruppe, Michael, an. Die Zeitschrift wird im Verlag Urban & Schwarzenberg erscheinen und soll auch am Kiosk (mit einem noch nicht feststehenden Titel) verkauft werden. Für Mitglieder ist sie kostenlos bei einem Jahresbeitrag von 30,00 €.

Die Gründung eines Netzwerkes für Selbsthilfegruppen schreitet voran. Auch hier ist Michael aktiv und koordiniert seit dem 1. DGBS – SHG-Sprecher-Treffen Anfang Juli in Kassel das Internet-Forum, das später öffentlich zugänglich sein soll.

-

Die DGBS hat inzwischen mehr als 20.000 von ihr verlegte Bücher verkauft. 3 neue Bücher sind geplant. Also immer mal wieder auf die Website www.dgbs.de schauen.

Das Forum www.manic-depressive.de ist in www.bipolar-forum.de umbenannt und wird seit Mitte 2004 von einem ehrenamtlichen Team von Administratoren aus Angehörigen und Betroffenen vor massiven Angriffen von Störern geschützt durch Verbergen von beleidigen und/oder störenden Beiträgen, in schweren Fällen sogar das Sperren von Teilnehmern und das komplette Löschen der Beiträge des Störers. In diesem Forum sind seit knapp 4 Jahren 69.000 Beiträge geschrieben worden. Rund 45.000 sind sichtbar und stellen eine Fundgrube an Erfahrungs- und Meinungsaustausch von Angehörigen und Betroffenen rund um die bipolaren Störungen dar. Ca. 2.000 aktive Nutzer haben bisher ein Passwort erhalten. Die Zahl der täglichen Zugriffe auf das Bipolar-Forum schwankt zwischen 2.500 und 4.000.

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Die DGBS setzt sich für den Trialog zwischen Professionellen, Angehörigen und Betroffenen ein. Dieses Ziel des Gesprächs aller Beteiligten miteinander als Vereinszweck wird durch demnächst zu beschließende Satzungsänderungen und die entsprechende Wahl der Vorstandsmitglieder verwirklicht werden.

 

"Leben mit bipolarer Erkrankung und was wünsche ich mir" Reinhard Gielen,Hamburg, während der Abschlussveranstaltung, Samstag, 13:00 Uhr

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Wichtige Öffentlichkeitsinitiative:

„Irre menschlich e. V.“ Verein für Öffentlichkeitsarbeit im Bereich psychische Erkrankung,

Irre menschlich Hamburg Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf Der Verein "Irre Menschlich Hamburg" ist zu erreichen in der

Sozial- psychologischen Ambulanz der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE, Martinistr. 52, 20246 HH,

Tel. 040 - 428 03 92 59,

E-Mail: info@irremenschlich.de

Website: www.irremenschlich.de

Dort können Informationsmaterialien angefordert werden.

Weitere Stichworte:

Selbstmanagement

Mailing-Group

 

Adressen:

www.bipolarnetwork.org

www.irrsinnig-menschlich.de

Essen, den 14.09.2004

Hans-Peter, Gründer der SHG Stimmungsumschwünge in Essen