Erfahrungsberichte Erkrankter
und Angehöriger sind zur Veröffentlichung an dieser Stelle ausdrücklich
erwünscht an:
info@change-of-moods.de
Erfahrungsbericht Manfred
Ferrari (Januar 2003)
Fast 10 Jahre brauchte es,
bis mir jemand ins Gesicht sagte dass ich manisch-depressiv krank sei. Mit
Sicherheit keine Freude für mich. Doch endlich hatten meine inneren
Schwankungen einen Namen. Besonders dankbar war ich meiner Arbeitskollegin
nicht, dass sie mir schonungslos eine Diagnose hingeworfen hatte, zu der die
früher konsultierten Fachleute (zwei Hausärzte, ein Psychologe und zwei
Psychiater) nicht fähig gewesen waren. Ich war zu ihnen wegen meiner
Depressionen gegangen, und von meinen Hochs, die ich damals nie als Manien
erkannt hätte, hatte ich ihnen nicht gesprochen. Wie froh war ich doch, dass
ich von Zeit zu Zeit wieder aus dem Vollen schöpfen konnte. Als
Warenhausmanager erwartete man von mir, dass ich ständig auf Trab war, dass
ich von Ideen sprühte. Meine Chefs schmunzelten, wenn ich mit einem
verrückten Vorschlag kam, wie man mehr Menschen in ein Kaufhaus locken
konnte. Im starren System eines Großkonzerns war für Manien wenig Spielraum.
So blieben sie erklärbar und wirtschaftlich vertretbar.
All dies änderte sich, als
ich nach einer schweren Depression keinen Ausweg mehr sah. Seit Wochen
hatten mich Suizidgedanken geplagt. Als dann einer meiner Arbeitskollegen,
ein Topmanager aus Genf, unter einen Zug gesprungen war, wusste ich, dass
auch ich mich entscheiden musste. Ich erinnere mich, wie ich während meiner
Mittagspausen über die Basler Wettsteinbrücke ging und täglich prüfte, wo
genau ich hinunter springen werde. Der unerwartete Tod meines Kollegen,
einer der besten Manager unseres Konzerns, gab mir den Anstoss zum
Überleben. Ich sah nur noch einen Ausweg: weg aus der Direktionsetage,
hinein in die Selbstständigkeit als Wirtschaftsberater. Was als
hoffnungsvoller Anfang aussah, wurde in Wirklichkeit zum Beginn eines
Desasters. In der vermeintlichen Freiheit entwickelte sich meine Krankheit
zu dem, was sie später wurde. Ungehemmt durch äußere Zwänge schlug das
Pendel zwischen Depression und Manie immer heftiger aus. Schon vorher hatte
ich wegen meiner Depressionen Ärzte aufgesucht. Nun lernte ich im neuen
Berufsumfeld Psychologen und Psychiater kennen. Wenn ich mich ehrlich frage,
so erinnere ich mich an mehr oder weniger scherzhaft hingeworfene
Bemerkungen betreffend einer Manie. Doch wem hätte ich dies damals
abgekauft? An meine erste heftige Manie erinnere ich mich, als ich als
Mitarbeiter in einer Rehabilitationseinrichtung für Drogenabhängige
arbeitete. Ich fand mich echt stark, als ich mich eines Tags auf die Seite
der Betreuten schlug und demonstrativ eines Nachts abhaute, mich in eine
neue Bewerberin verliebte und bei ihr untertauchte. Kein Wunder, dass ich
danach meinen Job verlor. Dann versuchte ich es als selbstständiger
Personalberater. Beim nächsten manischen Schub erwischte ich eine
Diskushernie. Unfähig auf den Beinen zu gehen, arbeitete ich wie besessen
weiter, bis sich mein Zustand derart verschlechterte, dass ich auf allen
Vieren einen Arzt aufsuchen musste. Der verfrachtete mich ins Kranken- haus,
wo ich notfallmäßig operiert werden musste, da mein linkes Bein jegliches
Gefühl verloren hatte. Seit dem humple ich durch die Welt. Ein Basler
Unternehmer gab mir später die Chance, mit einem bescheidenen Lohn zumindest
wieder überleben zu können. Kaum war ich aber aus meiner Depression heraus,
fühlte ich mich zu großen Taten berufen. Ich flog in die USA und wollte mit
den dortigen Erfahrungen einen der ersten Computer- shops in der Schweiz
eröffnen. Glücklicherweise hatten die Schweizer Banken für meine
hochfliegenden Pläne wenig Verständnis. So verlor ich nur mein Erspartes.
Dann
fühlte ich mich nach Rom gerufen, in die Nähe des Papstes. Ich hatte nämlich
in der Schweiz einige seiner Vorträge auf Audiokassetten herausgegeben. Die
Umstände wollten es, dass ich ihm diese an seinem Sommersitz persönlich
übergeben durfte. In katholischen Rom schien man für mich wenig Interesse zu
entwickeln. Wie schön, dass ein etwas verstaubter Exilkönig aus einem
Balkanland um meine Mitarbeit warb. Nach einigen Wochen schon ernannte er
mich zu seinem „Außenminister“, was bald auch durch eine Boulevardzeitung
publik wurde. Wie schön eine Manie sein kann, wenn man nicht weiß, dass es
eine ist. Mit ungebändigter Schaffenskraft stürzte ich mich in dieses
königliche Abenteuer, auf eigene Kosten, mit der unvermeidlichen Konsequenz,
wieder ohne einen Pfennig dazustehen. Hätte ich nicht liebe Freunde gehabt,
die mir immer wieder unter die Arme griffen, wäre ich wohl in einer Klinik
gelandet. So kehrte ich wieder in die Schweiz zurück. In einer sozialen
Einrichtung, in der ich als Mitarbeiter einen Job fand, erhielt ich endlich
die Diagnose, die in mein Leben eine Wendung brachte. Es war die oben
genannte Kollegin, die selbst manisch-depressiv war wie auch ihr Vater. Ich
kochte innerlich, fühlte mich noch nicht bereit einen Psychiater
aufzusuchen. Eine Peinlichkeit, die mich eines Besseren belehrte, liess
meine Hemmung fallen. Vom ersten Tag an erhielt ich, langsam aufbauend,
Lithiumsulfat. Nebenwirkungen verspürte ich wenige. Der Psychiater, der auch
meiner Arbeitskollegin geholfen hatte, zeigte mir einen neuen Weg, den ich
anfänglich nur zögerlich akzeptierte.
Die
Lithiumtherapie habe ich drei oder vier Mal abrupt abgesetzt. Die
Depressionen waren die schmerzhafte Quittung für diesen in hypomanischen
Phasen gefassten Entschluss. Später dann verfluchte ich meine Flucht aus dem
Medikament. Ich erinnere mich, dass ich während einer manischen Phase nach
Kuba geflogen war. Auf dem Flughafen in Madrid hatte ich eine hübsche
Kubanerin kennen gelernt, mit der ich mich Wochen später verlobte.
Gleichzeitig mietete ich in Barcelona ein Büro, über das ich „Import-Export“
aus der Zuckerinsel abwickeln wollte. So ganz nebenbei kümmerte ich mich um
einen möglichen Besuch des Papst in Kuba. Nur ein Maniker kann diese
Dimension verstehen. Einfacher zu verstehen ist die Reaktion meiner Bank,
die meine Kreditkartenschulden gegen eine kleine Immobilie in Frankreich
eintauschte. Das Loch in das ich dann fiel war sehr, sehr tief und mein
durch die Bank konfisziertes Häuschen verließ ich mit einigen
Bananenschachteln, die im PKW eines Freundes Platz fanden.
Sicher
habe ich nicht nur Mist gebaut. Stabilisiert durch das Lithium hatte ich
1991 eine Reportage über den Golfkrieg gemacht und ein Jahr später sogar
eine Hilfsaktion für Kinder im Irak, wo fast $ 100'000 zusammen- kamen. Ich
muss aber zugeben, dass ich durch meine inneren Schwankungen viele meiner
Freunde brüskiert und einige davon verloren habe. Selten hatte ich den Mut
offen über meine Krankheit zu sprechen. Ich empfand es als Stigma. Da ich
meine Manien immer gut kaschieren konnte und sie nie besonders heftig waren,
wurde ich nie hospitalisiert. Aber ich wollte meine Erfolge dennoch nicht
hinterfragt wissen. Irgendwie fürchtete ich, dass ich von meiner Umgebung
nicht mehr ernst genommen würde. Die änderte sich erst im Laufe des letzten
Jahres. Ich erkannte, dass ich nie richtig JA zur Diagnose gesagt hatte.
Vielleicht hoffte ich im Innersten, dass sie nicht stimmte. Nun stehe ich
dazu und ich freue mich über jeden Menschen, der ehrlich über seine
Behinderung spricht.
Der
Autor ist Schweizer Journalist und Betreiber der Homepage
www.forum-humanum.ch
Irrwege -Wilhelm R. -
-
Geboren
-
Verschult
-
Psychiatrisiert
-
Der tiefe Einschnitt in mein Leben ist nicht
zu übersehen.
-
Der Streber, der Leistungssportler; der
Manager; auch als N i c h t – Belastbarer muß er sich bewähren.
-
Therapie soll helfen, lindern – sie macht
rund und wund.
-
„Operation (Therapie) geglückt – Patient
tot?“
-
Die (Arbeits-)Welt der „Erwachsenen“ rückt
in unerreichbare Ferne.
Der zweite Schnitt. – Endgültig.
-
Welche Menschen sind mir heute näher? Die
„Gesunden, Fitten, Belastbaren“ oder die zarten Verlierer, die sich nach
langer Therapie nur noch Geborgenheit wünschen und Zuflucht suchen im
warmen Bauch einer Klinik?
Ich muß mich entscheiden, jeden Tag aufs Neue… |